12 Februar 2008
Jorge Luis Borges als Prophet des Web2.0?
Dieser Frage stellt sich Paul Ingendaay, aus Madrid schreibend, in der heutigen FAZ. Auf den Gedanken gekommen ist er durch einen Artikel von Noam Cohen vom 6. Januar in der New York Times, der am 27. Januar als Übertragung ins Spanische in „El Pais“ erschien. In diesem Artikel ist unter anderem von dem Buch einer in Amerika arbeitenden argentinischen Literaturwissenschaftlerin die Rede: Perla Sasson-Henrys „Borges 2.0 – From Text to Virtual Worlds“. Die Autorin hatte ihrerseits Mitte Januar der spanischen Zeitung ABC ein Interview gegeben, in dem sie die Literatur von Borges – mit ihren von Text zu Text verweisenden Markierungen – als Bindeglied zwischen traditionellen und digitalen literarischen Formen darstellte. Hier wies sie auch auf ein „Net-Art“ Projekt der Kunstprofessorin Natalie Bookchin hin, das auf Borges Erzählung „La intrusa“ basiert.
Soweit die Vernetzung der Grundinformation…
Und jetzt gehen wir den Weg wieder zurück:
In ihrem Buch analysiert Sassòn-Henry Borges Werke – La biblioteca de Babel, El jardín de senderos que se bifurcan, La Intrusa – in ihrer Wechselwirkung mit Wissenschaft, Technologie und virtueller Welt.
Noam Cohen beschreibt das so: die Verfasserin erkunde
the connections between the decentralized Internet of YouTube, blogs and Wikipedia — the so-called Internet 2.0 — and Borges’s stories, which “make the reader an active participant.”
Im weiteren Verlauf seines Artikels sucht und findet Cohen Indizien, die Borges mit dem Cyberspace in Verbindung bringen, und sieht in den Erzählungen des Argentiniers die Vorwegnahme von Wikipedia, Google Books und Blogosphäre.
Paul Ingendaay schließlich scheint einerseits recht beeindruckt von dem Gedanken, „aus Borges postum den Säulenheiligen des Cyberspace zu machen“, muss aber andererseits dem virtuellen Rauschen des Internet ein Lob des „altertümlichen“ Dichters Borges entgegenstellen und resümiert:
Er war ein elitärer Schriftsteller und wird es bleiben, sofern man das wertfrei sagen kann. Er wandte sich an die, die ihm zuhören mochten, und scherte sich nicht um die anderen. Vielleicht ist das der Schlüssel zu seiner Doppelköpfigkeit, wie sehr es sich auch lohnen mag, Borges im Licht der Computerbildschirme zu studieren: Er scherte sich nicht, während sich das Internet gefräßig um alles und jedes schert, auch das Blödeste und Niedrigste. Dafür brauchen wir es, gewiss, und offenbar wollen wir es sogar und sind also selbst schuld; aber zugleich entfernen wir uns von der Möglichkeit zur Versenkung, die vor der Ankunft dieses konzentrationstötenden Mediums einmal existierte.
Amen.